Besucht am 19.09.2020
Charleroi ist eine belgische Großstadt, eine alte Industriestadt und wenn man die Mentalität der Belgier kennt, dann weiß man, dass man hier viele eher unschöne Ecken entdecken kann. Aufgegebene Industrie-Immobilien stehen mitunter schon seit Jahrzehnten symbolisch für den Verfall der ganzen Stadt. Ein Eldorado für die Urbexer-Szene.
Begonnen haben wir unsere Tour mit dem Besuch eines verlassenen Velodroms. Mit dabei war Alex, ein Freund, mit dem ich sehr gern unterwegs bin. Die Belgier sind für ihren Fahrradsport bekannt, man erinnere sich an das nach ihnen benannte belgische Kreisel. Das Velodrom gibt nicht viel her, ein paar Perspektiven, Versuche, die Kurvensteilheit rüber zu bringen. Und natürlich den angegammelten Zustand. Dabei könnte man das Innere des Velodroms schön für kleinere Veranstaltungen wie Wochenmarkt oder Kirmes nutzen. Offenbar hat Charleroi dafür geeignetere Plätze.
Unser nächster Stop war ein Airbus A310-200. Dieser Flieger war 15 Jahre für die Nigeria-Airways in der Luft bis sie dann im September 1999 hier ohne Fahrwerk und Triebwerke mitten in der Stadt aufgebaut und als Nachtclub/Bar/Cafe betrieben wurde. Interessant ist die Außenterrasse auf der rechten Tragfläche. Seit Jahren läuft hier nichts mehr, alles gammelt vor sich hin, ebenso der gleichwohl auf dem Grundstück befindliche Eisenbahnwagen, der als Eisdiele funktionierte. Immer wieder tauchen Verkaufsanzeigen auf, 100.000,- Euro zzgl. MwSt und Notarkosten, zzgl. Transport dürfte wohl eine zu sportliche Preisvorstellung sein. Am 17. November 2020 hat sich das Problem dann in hellem Feuerschein in Rauch aufgelöst.
Unser nächstes Ziel war die Charbonnage du Gouffre (No. 10)
Sie ist die Haupt- und letzte Zeche von Charbonnages du Gouffre. Sie wurde von 1916 bis 1969 betrieben. Das Betongebäude wurde 1934 erbaut. Nach der Schließung wurde das Gelände zwischen 1979 und 1982 in einen Zoo umgewandelt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind nur noch Ruinen vorhanden. Das Gelände ist leer und es gibt keine Spuren von Bergbauaktivitäten. Ein Gebäude wird von einem Unternehmen genutzt, das Beton herstellt. Vor die anderen Gebäude hat man neue Einfamilienhäuser gebaut, hinter deren Gärten bedrohlich diese Zeugen industrieller Blüte stehen.
Weiter ging unsere Tour zur Church of Raven. Schöne Fotos im Internet hatten uns neugierig gemacht. Leider war kein Reinkommen, im Gegenteil, es waren deutliche Abrissspuren zu erkennen. Das Innere war schon komplett entkernt.
Piscine du Mosque war unser nächstes Ziel. Auch hier gibt es offenbar wieder die Absicht, etwas zu unternehmen. Jedenfalls zeugt ein aufwändiger und neuer Zaun um das ganze Gelände davon. Es gab kein Reinkommen. Schauen wir mal, wann sich wieder ein Zugang entwickelt.
Im Anschluss haben wir die wunderschönen Überreste der Charbonnage Forte Taille angesteuert, eine kleine Kohlemine, in der zwischen 1875 und 1935 Kohle abgebaut wurde. Nach einem Gasunfall 1920, bei dem 12 Menschen zu Tode kamen wurde die Produktion immer weiter eingeschränkt bis schließlich 1935 die Prod. eingestellt wurde. 85 Jahre Dornröschenschlaf, wunderschöne Motive, nachhaltiger Verfall überall. Für mich ein absolutes Highlight auf dieser Tour. Wenn Abrisspläne auf den Tisch kommen, dann werden die zuständigen Behörden gleichzeitig mit den erheblichen Sanierungskosten für den kontaminierten Boden konfrontiert, was sie regelmäßig zusammenzucken lässt.
Dann ging es zum Cooling Tower IM. Spektakuläre Fotos vom Inneren tauchen immer wieder im Netz auf. Leider hat man die Treppe, den Aufgang, entfernt, sodass die Fotos vom Inneren nicht mehr so einfach möglich sind. Schade, den Zugang wird man auch nicht mehr so herrichten können.
Unsere letzte Station an diesem Tag war dann die Remise Monceau.
Dieser Schuppen in der nordwestlichen Ecke eines riesigen Güterbahnhofs war ursprünglich ein Traktionswartungsdepot der SNCB, eine Werkstatt für Wagen und Lokomotiven. Mit der Schließung vieler Stahlwerke und Kohlegruben sowie der Tatsache, dass viele Lokomotiven nicht mehr dem europäischen Standard entsprachen, führten zur Schließung dieses Depots um 2000. Der leere Schuppen verfällt zunehmend, ein schöner Ort, um bei tiefstehender Sonne die Tristesse, den Verfall, zu fotografieren.
Jetzt noch die Rückfahrt in der Gewissheit, dass wir viel, sehr viel an diesem Tag gesehen haben und mit über 200 Fotos zu Hause ankommen werden. Und da ich nur der Beifahrer war, konnte ich einfach die Augen schließen und den Tag nochmal Revue passieren lassen. Wir haben viel erlebt heute und Charleroi wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.
Die Welt ist dabei, in Stücke zu fallen und Leute wie Adams und Westen fotografieren Felsen! -Henri Cartier-Bresson-